2nd April 2014
Namasté! So werde ich in Indien begrüßt. “It means saying hello to the beautiful side of you” erklärt unser Guide. Wow. Ich grüße das Schöne in dir. Denn jeder Mensch hat ja seine eigene Schönheit. Man muss sie nur sehen lernen. Manchmal glaube ich, dass die Inder das Leben irgendwie besser verstanden haben als wir. Vielleicht sehen sie deshalb so zufrieden aus? Sie sitzen vor ihren Hütten und lächeln selig in die Welt. Keiner strampelt sich für Geld ab, niemand ist gehetzt. Niemand hat Komplexe.
Wenn ich durch Kerala laufe, scheint die Welt um mich zu rufen: “Sei unbesorgt. Du bist okay. Nicht zu dick, nicht hässlich und es muss irgendwas geben, was du gut kannst.” Wenn ich in Deutschland bin, werde ich regelmäßig darauf aufmerksam gemacht, was ich noch an mir verbessern kann, was ich noch brauche, um glücklich zu werden. In Indien scheint die Antwort: Nichts. Eine Hütte reicht, eine Zeitung, ein Bindi auf der Stirn, ein Chaitee mit den Nachbarn.
Manchmal sieht die Welt hier aus, als gäbe es keine Probleme. Aber es wird nur anders damit umgegangen. Ich erinner mich an meine erste Yogastunde in Indien vor 4 Jahren und an die Worte meines Lehrers: “If there is pain, try to enjoy the pain.” Wenn du Schmerz fühlst, versuch, ihn zu genießen. Alles, was passiert, wird schon irgendwie richtig sein, man muss nur lernen, es zu akzeptieren. Ich hab mich ziemlich in diese Philosophie verliebt, auch wenn es oft so schwer ist, sie umzusetzen (z.B. zwei Wochen später im indischen Krankenhaus, mit Schläuchen im Arm und Ameisenstraßen unterm Bett).
Positives Denken ist ansteckend. Selbst Babys und Kleinkinder strahlen hier Ruhe aus, ich höre sie viel seltener brüllen als anderswo(und hier gibt es viele Babys). Ich entspanne mich hier manchmal so sehr, dass ich auf die Straße laufe, ohne mich umzugucken und um ein Haar von einem Tuk Tuk erfasst werde. Ich gewöhne mich langsam an den Gedanken, dass Zeit keine Rolle spielt. Busse und Züge fahren sowieso, wann sie lustig sind, wozu also hetzen?
Wie viel einfacher wäre das Leben, wenn ich ein bisschen Genügsamkeit von hier mitnehmen könnte? Ich weiß zwar inzwischen, dass mich Besitz sicher nicht glücklicher macht, aber ich überlege in letzter Zeit oft, warum ich keine Ruhe finde, bevor ich nicht jedes Land dieser Erde gesehen habe. Warum kann ich mich nicht auch irgendwo hinsetzen, Zeitung lesen und mit dem zufrieden sein, was ich habe? Warum kann ich nicht aufhören, mich mit anderen zu vergleichen und darüber unglücklich werden? Vielleicht ist Glück ja gar nicht so schwer zu erreichen, wenn man seine Ziele nicht so hoch steckt….
Und dann, in anderen Momenten zweifel ich wieder, ob die indische Unbesorgtheit nicht doch zu weit geht. Wer Müll hat, schmeißt ihn dorthin, wo er gerade steht und wer mal muss, hockt sich einfach auf die Straße (auch wenn ich das hier in Kerala viel seltener sehe als im Norden). An manchen Orten erstickt das Land an Müll und Dreck, sollte man nicht wenigstens versuchen, irgendwas dagegen zu tun? Und die Ungerechtigkeit, das Kastensystem, ist es richtig, das alles zu ertragen? Oder ist es so aussichtslos, sich dagegen zu wehren, dass man lieber gleich vor seiner Hütte sitzen bleibt und nur das sieht, was man sehen möchte? Das Schöne. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, nicht zu verzweifeln. Und wie glücklich es macht, könnt ihr in den Gesichtern auf den Fotos sehen….